...alles muss WEG...
Immer öfter werden wir mit Klimadaten und Prognosen konfrontiert, die eine drastische Veränderung unserer Umwelt und damit auch unserer Lebenssituation beschreiben bzw. vorhersagen. Es geht dabei zunächst nur um wenige Grad durchschnittlicher Temperaturveränderung, die aber gravierende Auswirkungen haben werden und auch schon in der Gegenwart für jeden spürbar eine Veränderung darstellen. Die Thematik ist zwar präsent, spiegelt sich aber noch wenig in einem kollektiv geänderten Verhalten wider.
Auf der planerischen Ebene in Architektur, Städtebau und Raumplanung findet bereits eine intensive theoretische Auseinandersetzung zu dieser akuten Problematik statt, die aber aufgrund von systembedingter kapitalistischer Logik (Kosten und zeitnahe Rendite) nur in Einzelbeispielen Realität wird. Um so wichtiger ist es, sich als zukünftige Gestalter:innen und Entscheider:innen grundsätzlich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen, um einen unbedingt notwendigen Einfluss in unsere Zukunft nehmen zu können. Wir möchten in diesem Semester eine solche intensive Auseinandersetzung führen. Dabei sollte eine Situation im 2. Bezirk in Wien analysiert und gestaltet werden. Radikale und utopische Ansätze werden untersucht, um Antworten auf deutliche Veränderungen zu entwickeln und darzustellen.
Der architektonische Bestand wird dabei aufgrund des kulturellen Wertes und der bereits eingesetzten Ressourcen grundsätzlich akzeptiert. Wir starten vom Zwischenraum, der uns zum Titel des Projektes geführt hat „...alles muss WEG...“. War das Ideal in der Freiflächengestaltung noch bis vor wenigen Jahren die europäische Stadt mit ästhetischen Vorbildern wie die italienischen Plätze mit gut gestalteten Oberflächen, aber umfangreicher Versiegelung, machen Starkregen und Aufheizung ein deutliches und grundsätzliches Umdenken notwendig. Um sich von den genannten Vorstellungen und Prägungen lösen zu können, gehen wir daher zunächst davon aus, dass es gar keinen Bestand mehr an artifiziellen Oberflächen und Einbauten im Zwischenraum zwischen den Architekturen gibt. Auch tradierte funktionale Setzungen und Ordnungen (funktional zugeordnete Flächen für Gehen, Fahren, Aufenthalt, Grün etc.) werden nicht beachtet.
Die wissenschaftlich Datenlage der Klimaveränderung aufgrund von Messungen und entsprechenden Modellen ist global gesehen mittlerweile eindeutig. Da aber aufgrund der Komplexität der klimabeeinflussenden Parameter noch nicht klar ist, wie sich die globalen Veränderungen regional und lokal auswirken, sollen Konzepte entwickelt werden, die sich mit verschiedenen Extremen auseinandersetzen. Dies kann sich auf Elemente wie u. a. extreme Kälte, Feuchtigkeit oder Trockenheit, aber auch auf soziale und gesellschaftliche Gegebenheiten wie Überpopulation durch Flucht oder Überalterung beziehen. Auch eine deutlich weniger anthropozentrische Umweltgestaltung durch umfassende Integration anderer Spezies aus Fauna und Flora kann ein Schwerpunkt-Szenario sein und sollte berücksichtigt werden.
Der Zwischenraum ist mit diesen Voraussetzungen neu zu aktivieren, zu gestalten und darzustellen. Dabei sollen Aspekte wie Resilienz (z. B. Verschattung, kühlen, Versickerung), Mobilität, soziale Qualität (treffen, helfen, Kultur schaffen), aber auch Produktivität (Energie erzeugen, Wasserreinigung und Gewinnung von Nahrung) berücksichtigt werden. Begleitend ist eine Vorstellung von Gesellschaft mit höherer Resonanz (s. Hartmut Rosa) in einer Postwachstumssituation zu formulieren, in der mehr Nachhaltigkeit, mehr Sinn und mehr Gemeinschaft möglich ist.
Christian Frieß
Christian Kern
Renate Stuefer